Sehr geehrte Damen und Herren, das griechische Haus hat ganz klar getrennte Sphären.
Auf der einen Seite das Andron, das kommt von Annäher, der Mann, im vorderen Bereich, die Sphäre des Mannes.
Und im hinteren Teil, hier um den Eukos, also den Herd, die Frauen des Haushalts.
Auch in den Bildern ist die Unterscheidung zwischen Mann und Frau stets sehr trennscharf.
Das betrifft zunächst die Handlungen, in denen Mann und Frau innerhalb der Gesellschaft dargestellt werden.
Es sind vor allem jene Handlungen, welche spezifische Aufgaben von Mann oder Frau im sozialen Gefüge repräsentieren.
Welche also besonders typisch für das jeweilige Geschlecht ist.
Bei den Frauen, hier auf der linken Seite am Brunnen, ist das etwa das tägliche gemeinsame Wasserholen.
Hier auf der rechten Seite der Mann in der Rolle des Kriegers, der Abschied nimmt von seiner Familie.
Die klare Unterscheidung von Mann und Frau betrifft aber auch die Körper.
Das beginnt schon sehr früh bei Darstellungen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, hier der berühmte Hirschfeldkrater in New York.
Dort markieren zwei Punkte am Oberkörper, Sie sehen es ganz klein hier, dass es sich bei den Menschen um weibliche Personen handelt.
Hier sind es Klagefrauen.
Geradezu zeichenhaft werden in der Wasmalerei des 7. und 6. Jahrhunderts vor Christus Frauen mit blendend weißen Männer mit schwarzer Gesichtshaut differenziert.
Sie sehen hier eine Frau mit weißem Gesicht, hier ein Mann mit schwarzem Gesicht.
Aber schon hier spielen die Maler mit Zuschreibungen.
Etwa mit der lustigen Überkreuzung, wenn hier auf der rechten Seite ein Kreis weiße Haare und ein schwarzes Gesicht.
Und neben dran ein Mädchen weißes Gesicht und schwarze Haare besitzt.
Ebenso normiert ist das Geschlechterbild in der Skulptur.
Die Typen Kuros links und Korre rechts, die beiden konventionellen Bilder von Mann und Frau auf Gräbern und in Heiligtümern des 7. und 6. Jahrhunderts folgen ganz klaren Richtlinien.
Abgesehen von den immer eindeutig gezeigten primären und sekundären oder sekundären Geschlechtsmerkmale ist der Mann fast immer nackt, die Frau ausnahmslos dicht bekleidet.
Die Muskulatur des Mannes bedont dezidiert Oberschenkel und Brustkorb.
Die unter den feinen Gewändern durchscheinenden Körperformen der Frauen und Mädchen sind feminin, elegant und untrainiert.
Missverständnisse in der Geschlechterzuschreibung sind weder erwünscht noch sensibel möglich.
In hochklassischer Zeit, also dem 5. Jahrhundert vor Christus, ändern sich zwar die künstlerischen Strategien.
Der Kanon an männlichen und weiblichen Merkmalen bleibt aber vollkommen stabil. Er wird sogar noch weiter ausgebaut.
So spiegelt die klar definierte und konturierte Muskulatur männlicher Staaten, hier der berühmte Doriforos des Polyklet,
nicht nur das Ideal der körperlichen Fitness, sondern auch die logische Struktur der Proportionen, denn die Körperteile sind in ganz bestimmten Proportionen gestaltet.
Bei den Frauen signalisiert das großflächige Gewand zunächst Einfachheit und Klarheit der Komposition.
Später nutzen die Bildhauer den Faltenwurf, um den unter dem dünnen Gewand liegenden Körper als feminin zu charakterisieren.
Lange, sanft geschwungene, elegante Linien akzentuieren die weichen Körperformen und vor allem die Geschlechtsmerkmale, hier die Scham im Dreieck der Falten.
Mitunter gerät diese glasklare Differenzierung aber in Unordnung. Einer dieser seltenen Fälle sind die Amazonen, die sie alle kennen,
kriegerische Frauen eines mythischen Volkes im Osten. Ihre Körper sind weiblich, ihr Handeln ist aber eindeutig männlich konnotiert nach griechischem Verständnis.
Die Vasenmaler spielen gezielt mit dieser Möglichkeit, die klare Ordnung von Körper-Attributen, hier Waffen und Handlung aufzulösen.
Für den zeitgenössischen Betrachter müssen schwer bewaffnete Frauen exotisch und extrem bizarr gewirkt haben.
Und schon früh würde die hybride Mann-Frau-Vermischung erotisch akzentuiert, etwa hier bei diesem Vasenbild vom Ende des sechsten Jahrhunderts vor Christus.
Es zeigt links den Helden Achille, der vor Troja die Amazone Pentesilea tötet und sich im Moment des Todes in die Kontrahentin verliebt.
Im absurden Bild eines Liebespaars in Rüstung verbindet der Maler die beiden Protagonisten auf ganz subtile Art und Weise.
Einmal durch den intensiven Blick durch die Helme durch, die fast zärtliche Überlagerung der Oberarme und schließlich die Lanze Achilles,
die sich hier direkt in den Hals der Amazone bohrt. Geradezu eine direkte körperliche Verbindung.
Während das Amazonenbild, was den weiblichen Körper selbst betrifft, der Konvention folgt, wird diese Konvention im folgenden Jahrhundert zunehmend in Frage gestellt.
Ein Musterbeispiel ist der sogenannte angelehnte Satyr des berühmten Bildhauers Praxiteles ungefähr um 340 vor Christus entstanden.
Die Satyren wilde Kollegen im ecstatischen Gefolge des Gottes Dionysos beschäftigen sich auf den Bildern für gewöhnlich mit Tanz, Raserei und vor allem sexuellen Handlungen jeglicher Art.
Wir werden nachher noch Beispiele sehen. Nicht so aber dieser Satyr des Praxiteles. Er steht, wie Sie sehen, ruhig angelehnt da.
Seine Provokation ist anderer Art. Zwar ist der Satyr, wie das Geschlecht ganz eindeutig zeigt, ein Mann.
Sein Oberkörper ist aber alles andere als das, was man von einem männlichen Oberkörper als Griecher erwarten würde.
Die Muskulatur hier auf dieser Seite ist weich und undefiniert. Die einzelnen Muskelteile gehen sanft fließend übereinander oder sie treten gar nicht in Erscheinung.
Genau das Gegenteil hier vom Doryphoros. Ein feines Fettpolster scheint den Körper zu überziehen.
Auch die Körperhaltung widerspricht jeglichen maskulinen Auftreten. Der Satyr lehnt sich extrem lässig an einen Baumstamm, was dazu führt, dass sein Becken provokativ zur Seite hin ausschert.
Die eindeutig femininen Körperformen sind dabei kein Zufall.
Presenters
Prof. Dr. Andreas Grüner
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:53:55 Min
Aufnahmedatum
2017-01-23
Hochgeladen am
2017-02-02 15:55:33
Sprache
de-DE
In der Geschlechterdiskussion werden die vielseitigen Phänomene und feinen Unterschiede im Spannungsfeld von Mann und Frau nicht selten zu harter Munition ideologischer Grabenkämpfe. Die griechische und römische Kunst hingegen kennzeichnen einen geradezu spielerischen Umgang mit der Diversität der Geschlechter. In Statuen, Gemälden und Bildern auf Alltagsgegenständen werden Männer zu Frauen, Frauen zu Männern, männliche und weibliche Kennzeichen und Verhaltensweisen vermischen sich.
Prof. Dr. Andreas Grüner ergründet in seinem Vortrag die vielfältigen Wechselbeziehungen weiblicher und männlicher Körperformen in der griechischen und römischen Kunst. Die Bilder problematisieren und konterkarieren viele Stereotype, die in der sozialen Praxis ihrer Gesellschaften fest verankert waren, auf raffinierte und humorvolle Art und Weise. Das macht die Antike auf diesem Gebiet zu einem kulturellen Gegenmodell, von dessen Betrachtung die Gegenwart in vielerlei Hinsicht lernen kann.